Der Weiße Tempel

Für unseren zweiten Tag in Chiang Rai haben wir uns den Besuch des Weißen Tempels aufgespart – Wat Rong Khun, das berühmteste Wahrzeichen der Provinz. Was wie ein Tempel klingt, ist in Wahrheit ein visionäres Gesamtkunstwerk: entworfen vom thailändischen Künstler Chalermchai Kositpipat, schneeweiß, bizarr, überirdisch.

Schon beim ersten Blick stockt uns der Atem: Die gesamte Struktur leuchtet in reinem Weiß, überzogen mit tausenden Glasmosaiken, die im Sonnenlicht funkeln. Die Farbe steht für die Reinheit Buddhas, die Spiegel symbolisieren erleuchtende Weisheit. Jede Oberfläche, jede Figur, jede Ecke ist filigran geschnitzt und bis ins Absurde detailreich gestaltet – ein Kunstwerk, das fast ins Märchenhafte kippt.

Für umgerechnet drei Euro (Kinder frei) betreten wir das Gelände. Der Weg zum Haupttempel führt über eine Brücke, die den „Zyklus der Wiedergeburt“ darstellt. Unter uns ragen unzählige Hände aus einem Betonabgrund – verzweifelte Gesten menschlicher Begierden, die überwunden werden müssen.

Drinnen erwartet uns ein verblüffender Bruch: Inmitten traditioneller buddhistischer Wandmalereien finden sich Superhelden, Popkulturfiguren, sogar Elvis. Nicht in Las Vegas, sondern im Tempel – eingebettet in ein riesiges Fresko über Weltuntergang und Wiedergeburt. Schrill, provozierend, verstörend – und gleichzeitig tiefgründig.

Ich muss gestehen: Ich bin fast wütend auf diesen Tempel. Er ist so überladen, so übertrieben perfekt, dass man sich ihm nicht entziehen kann. Es ist selten, dass mich ein Bauwerk so herausfordert. Kein Ort für stille Einkehr – eher eine ästhetische Explosion.

Wat Rong Khun ist kein abgeschlossenes Bauwerk. Seit seiner Eröffnung 1997 wächst und verändert er sich ständig. Kositpipat plant, sein Lebenswerk erst nach Jahrzehnten zu vollenden. Auf dem Gelände finden sich weitere Pavillons, Gärten, Galerien – und eine goldene Toilette, die als ironisches Kunstobjekt fast schon zu glänzt.

Im hinteren Teil entdecken wir die „Cave of Arts“ – eine längliche Betonkonstruktion, die einer Felsenhöhle nachempfunden ist. Auch hier: Eintritt gering, Kinder frei. Wir zögern kurz, gehen dann aber doch hinein – und werden belohnt.

Dunkelheit umfängt uns. Grinsende Dämonen, aus den Wänden ragende Hände, skurrile Skulpturen – eine symbolische Reise durch die Hölle. Dann, je tiefer wir vordringen, hellt sich die Atmosphäre auf. Zwischen schwebenden Buddha-Statuen und sanfter Beleuchtung wird aus der Unterwelt ein spiritueller Aufstieg. Am Ende: ein heller Raum, friedlicher Buddha, Stille.

Und doch bleibt das Gefühl, dass der Architekt bei alldem ein bisschen den Verstand verloren haben muss. Alles ist überhöht, überzeichnet, zu viel – und gerade deshalb faszinierend.

Fast beiläufig begegnet uns noch ein zweiter Tempel im goldenen Glanz, diesem Mal Ganesha gewidmet. Zutritt verweigert – Mittagspause. Und laut Internet ist das Heiligtum ohnehin nicht betretbar. Wir begnügen uns mit einem Rundgang.

Nach diesem intensiven Vormittag suchen wir etwas Entspannung – und finden sie im nahegelegenen Singha Park. Zunächst halten wir das Gelände für eine Art Freizeitpark, in Wahrheit handelt es sich um ein rund 1.000 Hektar großes Anbaugebiet, betrieben von der gleichnamigen Brauerei.

Mit einem Hop-on-Hop-off-Elektrobus fahren wir durch verschiedene Stationen: ein Schwanenteich mit hungrigen Karpfen, ein wenig spektakulärer Fotospot, schließlich ein kleiner Streichelzoo. Neben Zebras, Giraffen und Watussi-Rindern zieht es unsere Kinder natürlich zu Kaninchen, Meerschweinchen und Ziegen.

Die Nachmittagshitze ist heftig, aber die Atmosphäre entspannt. Am Ende lassen wir den Besuch auf einer sanft geschwungenen Teeplantage ausklingen – endlich sehe ich einmal echte Teesträucher.

Nur der Abstecher zur Kaffeeplantage bleibt mir verwehrt – die Ernte ist längst vorbei, und zu sehen gäbe es ohnehin nichts mehr.

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.