Wildwasser auf dem Mae Taeng

Thailand ist ein Land mit tiefer Bindung ans Wasser – besonders im Süden, mit dem Golf von Thailand auf der einen und der Andamanensee auf der anderen Seite. Doch auch im Binnenland, in dem wir uns gerade befinden, ist Wasser im Überfluss vorhanden und kulturell tief verankert.

Nele und ich wählen heute eine fröhliche Variante des Wassers: das Wildwasser. Hier im Norden gibt es einige Flüsse, die sich aus dem Gebirgszug östlich von Chiang Mai in den Mae Nam Ping ergießen, den Fluss, der durch die Stadt fließt. Einer davon ist der Mae Taeng, auf dem eine Firma mit Sitz in der Altstadt Rafting-Touren anbietet. Ich hatte eine Tour für uns beide online gebucht – nicht ganz einfach, denn Nele ist eigentlich noch ein wenig jung für solchen Wassersport. Das Unternehmen löst das Altersproblem allerdings pragmatisch: Kinder und Nichtschwimmer werden auf einem der wilderen Abschnitte über Land transportiert.

Wir sind guter Dinge, als wir am frühen Morgen vor unser Appartement treten. Obwohl wir überpünktlich sind, wartet der Van mit Firmenaufschrift bereits. Der Fahrer gleicht unsere Namen mit der Passagierliste ab – und wir bleiben die einzigen Fahrgäste in diesem Bus. Das wundert mich kaum, denn im Norden sind die Distanzen größer als auf den Inseln, und wer weiß, wo die übrigen Teilnehmer eingesammelt werden. Trotzdem erscheint mir die Planung nicht gerade effizient: Wir fahren 70 Kilometer.

Je weiter wir in die Berge kommen, desto urtümlicher wird die Landschaft, desto schmaler die Straßen. In dieser Region finden sich einige Elefantenhöfe mit Übernachtungsmöglichkeiten sowie mehr oder weniger traditionelle Karen-Dörfer. Diese ursprünglich aus China stammende Volksgruppe ist besonders durch die sogenannte „Langhals“-Tradition bekannt, bei der Frauen goldfarbene Ringe um den Hals tragen, die mit der Zeit die Schultern nach unten drücken und so den Hals optisch verlängern.

Nach etwa eineinhalb Stunden verlassen wir die befestigten Straßen. Die letzten Meter bis zum Ziel geht es rumpelnd über einen staubigen Erdweg. Schließlich stoppt der Fahrer und erklärt in bruchstückhaftem Englisch, dass wir angekommen seien. Viel mehr Kommunikation ist mit ihm nicht möglich.

Wir steigen aus. Ein etwa fünfzigjähriger, hagerer Mann kommt auf uns zu, mustert uns kurz – und begrüßt uns mit einem freundlichen „Herzlich willkommen!“ Ohne große Erklärungen zeigt er uns Toiletten und Duschen, stellt uns die Hunde namentlich vor und führt uns auf eine überdachte Veranda, auf der problemlos zwanzig Leute Platz fänden. Doch außer Nele, mir und dem Mann, der sich als Pit vorstellt („Pit – wie Pattaya, nur mit i!“), sitzt dort nur noch eine weitere Familie nahe der Küche. Die Situation wirkt etwas skurril, löst sich aber rasch auf: Pits Mutter stammt aus Elmshorn. Er selbst hat die ersten Lebensjahre in Deutschland verbracht, lebt aber seit über dreißig Jahren in Thailand. Hier im Dorf wohnt er mit seinen acht Hunden in einer einfachen Holzhütte und begrüßt für die Raftingfirma die Gäste – heute also Nele und mich. Weitere werden nicht erwartet. Auch die Familie, die am Rand der Veranda sitzt, wohnt hier und sorgt für unser leibliches Wohl. Bevor es aufs Wasser geht, gibt es erst einmal hausgemachtes Curry, dazu frische Bananen und Ananas aus dem eigenen Garten.

Nach dem Essen lernen wir unseren Guide kennen: Mac wird uns den Mae Taeng hinuntergeleiten. Da wir nur zu zweit sind, tauschen wir das große Schlauchboot gegen ein aufblasbares Kajak – mir ist das nur recht. Im Kajak ist man näher am Wasser, das Paddeln unmittelbarer. Ein weiterer Sicherheitspaddler begleitet uns für den Notfall.

Dann beginnt unsere Fahrt. Anfangs ist der Fluss noch ruhig – gut geeignet für ein paar Fotos. Pit fährt parallel mit dem Roller am Ufer entlang und hat sich angeboten, uns an bestimmten Stellen zu fotografieren. Nach und nach wird das Tal enger, die Stromschnellen wilder – und zu meiner Freude gefällt Nele die Fahrt sichtlich. Wir haben etwa drei bis vier Kilometer zurückgelegt, als Mac ans Ufer steuert und verkündet, dass Nele nun aussteigen muss. Wir hatten das vorher besprochen und angenommen, dass sie mit dem Van weiterfahren würde. Ich werde eines Besseren belehrt, als ich sehe, wie sie sich plötzlich auf den Rücksitz eines Motorrollers schwingt…

Viel Zeit zum Staunen bleibt mir nicht. Der Fluss wird nun deutlich ungestümer. Mehrmals tauchen wir bis über den Kopf unter, und ich muss mich kräftig anstrengen, um nicht aus dem Boot zu fliegen. Jetzt wird klar, warum dieser Abschnitt für Kinder tabu ist. Aber genau das habe ich mir gewünscht. Nach der ersten wilden Passage grinst Mac: „So, jetzt kommen noch fünf!“ An den gefährlichsten Stellen sehe ich Männer mit Wurfsäcken auf den Felsen stehen – sie gehören ebenfalls zum Unternehmen und sichern den Abschnitt. Falls jemand aus dem Boot fällt, werfen sie ihm ein Seil zu. Wer mitzählt, merkt schnell: Nele und ich beschäftigen heute locker acht bis zehn Menschen – vom Fahrer über die Köchin bis zu den Sicherungsposten. Ökonomisch fragwürdig, aber das ist nicht meine Entscheidung.

Nach fünf der sechs großen Kaskaden stößt Nele wieder zu uns – die Rollerfahrt scheint ihr gefallen zu haben. Ich habe mich offenbar nicht ganz ungeschickt angestellt, also darf sie für die letzte Stromschnelle wieder ins Boot. Die Fotos, ob vom Ufer oder aus dem Boot, sprechen Bände – auch Nele hat sichtlich Spaß an der wilden Fahrt, selbst wenn sie bis über den Kopf ins Wasser taucht.

Nach der letzten großen Passage beruhigt sich der Fluss, und wir paddeln entspannt weiter. Ein paar kleinere Hindernisse noch, dann erreichen wir das Ziel. Dort können wir duschen, uns umziehen – und der Fahrer bringt uns zurück nach Chiang Mai.

Am Abend treffen wir Antje und Ian wieder, die den Tag mit Baden und Tempelbesichtigungen verbracht haben. Gemeinsam lassen wir den Tag mit einem Altstadtbummel und einer wohlverdienten echten italienischen Holzofenpizza ausklingen.

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