Richelieu Rock

Richelieu Rock — ein Name wie Musik in den Ohren des halbwegs ortskundigen Tauchers. Der Legende nach entdeckt (ziemlich sicher falsch), benannt von (wohl auch falsch) oder zumindest besucht (gesichert) von Mr. Meeresfilm himself Jacques—Yves Costeau. Beschäftigt man sich im Vorfeld mit der Planung, so liest man ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Einschätzungen: von „Thailands bester Tauchspot“ bis „überfüllt und alles kaputt“ reichen die Bewertungen.

Nach einigem Hadern mache ich mich auf die Reise, mir selbst ein Bild zu machen. Hadern deshalb, weil die Anfahrt nicht ganz einfach und damit ein bißchen teurer ist als üblich, und außerdem heißt ein Tag Tauchen natürlich auch für Antje einen Tag allein mit den Kindern, und hier ist das noch einmal eine ganz andere Nummer als zu Haus.

Nach ein paar kleinen Abstimmungsschwierigkeiten hinsichtlich des Abholzeitpunktes sitze ich schließlich morgens um kurz nach 7 mit etwa 6 anderen Tauchern in einem Mini—Bus auf dem Weg zum Sea Sky Travel Pier, etwa 30 Kilometer nördlich unseres Hotels. Ich empfinde die Stimmung im Bus zunächst als recht kühl, hat doch außer einer Replik auf mein freundliches „Good Morning“ noch keiner auch nur ein Wort gesagt — eigentlich werden ja solche Anreisen schon einmal für ein kurzes Kennenlernen genutzt.

Morgenstimmung am Pier


Am Pier angekommen treffen noch einige andere Taucher von anderen Tauchbasen zu uns, alle mit demselben Ziel. Hier werden wir auch unseren Guides zugeordnet, ohne die ein Tauchgang sowohl gefährlich als auch verboten wäre. Ich finde mich bei einer quirligen Thai namens May wieder, zusammen mit Blake, Zac, und Janine. Noch bevor May mit ihrem Briefing beginnen kann, platzt es ungeduldig aus Janine heraus: Wie groß die Chance wäre, heute einen Walhai zu sehen? Sie wäre schon so oft in Thailand getaucht, aber noch nie einen der majestätischen Riesen beobachten können. May wiegt den Kopf: In dieser Saison wäre noch keiner da gewesen, aber vielleicht habe man ja Glück. Sie bespricht mit uns den geplanten Tauchgang und die Tiefen, in die sie uns zu führen gedenkt. Und hier muss ich dann gleich einhaken, weil meine Zertifizierung nur Tauchgänge auf 18 Meter erlaubt, die anderen dürfen auf 30 Meter. Der Zuordnungsfehler wird aber schnell behoben, und ich bin in einer neuen Gruppe, die nun sogar noch einmal kleiner ist: Nur Pascal und ich, zusammen mit Guide Thomas. Die Kommunikation mit meinem Tauchpartner ist ein wenig kompliziert, spricht Pascal doch ausschließlich französisch. Und diese Sprache habe ich vielleicht vor 20 Jahren Ansätzen beherrscht, aber verhandlungssicher ist anders. Aber der trilingual Guide Thomas dolmetscht ein wenig, dann passt es schon.

Nach dem Briefing betreten wir das Boot, das uns zu unserem Tauchplatz bringen soll. Mit mir zusammen sind wir vielleicht 12 Taucher plus eine Menge Thailänder, die sich um Betrieb des Schiffes und die Bereitstellung des Materials kümmern. Kurz nach Verlassen des Piers gibt unser Kapitän das erste Mal Schub und vier Außenbordmotoren mit je 250 PS Peitschen uns mit fast 60 km/h unserem Ziel entgegen. Jetzt wird auch klar, weshalb die mit „Anreise per Speedboat“ geworben haben. Ich sitze zwischendurch hinter dem Kapitän und kann einen Blick auf seine Anzeigen erhaschen: Die Durchflussrate der einzelnen Motoren liegt bei 60 Litern Diesel pro Stunde. Gerechnet mal Vier, insgesamt drei Stunden Fahrt — 720 Liter Diesel, nur für unsere Tour!

Nach eineinhalb Stunden fahrt erreichen wir unser Ziel. Vom Felsen selbst ist nicht viel zu sehen, es gibt lediglich eine Stelle im Meer, an der die Wellen Schaumkronen haben, was auf ein Unterwasserhidernis hinweist. Neben uns sind erfreulicherweise nur zwei weitere Boote vor Ort, also kann es schon einmal nicht allzu voll werden. Am Horizont erkennen wir schemenhaft die Surin-Inseln, den namensgebern des Nationalparks, in dem wir uns befinden. Dort werden wir nach dem ersten Tauchgang unser Mittagessen zu uns nehmen.

Wir legen die Ausrüstung an, führen den Buddy-Check durch und steigen mit einem großen Schritt ins Wasser. Da der Richelieu Rock wie ein Solitär im ansonsten fast offenen Meer vom Meeresboden aufragt, haben wir an der Oberfläche noch mit einiger Strömung und ordentlich Welle zu kämpfen, aber wir ziehen uns an einer Bojenleine zu unserem Abstiegspunkt und lassen die Luft aus den Tarierwesten. Und dann sind wir eingetaucht in das artenreichste, farbenfroheste, reichhaltigste Tauchrevier, das ich je gesehen habe. Die schiere Menge an Biomasse ist überwältigend, „Fischsuppe“ ist gar kein Ausdruck. Hunderttausende Fische? Millionen? Ich kann nicht einmal schätzen.

Nach einem kurzen, atemlosen Moment der Orientierung steigen wir an einer Ankerleine ab und machen uns auf den Weg um den wie ein Croissant geformten Felsen. Wenn ich Zeit habe, werde ich an dieser Stelle noch ein Video einfügen, welches dann mehr sagt als 1000 Worte. Bis dahin hier einige Bilder, die aber die Faszination des Felsens nur im Ansatz widergeben können.

Nach etwa 45 Minuten in knapp 20 Metern Tiefe erreichen wir die 50 Bar-Marke in unseren Pressluftflaschen: Zeit, wieder aufzutauchen. Noch nicht wieder am Boot angekommen hören wir schon aufgeregte Stimmen: Ein Team hat einen Walhai gesehen! Und sie haben sogar Videos gemacht, wie der mit bis zu 20 Metern Körperlänge größte Fisch der Welt auf sie zugeschwommen ist! Der Rest von uns, der dieses Glück nicht gehabt hat, ist aber nur ein kleines bißchen enttäuscht, einfach, weil das, was wir bestaunen durften, auch ohne Walhai schon überwältigend genug gewesen war.

Wir machen uns auf den Weg nach Surin Island zu unserem Mittagessen. Hierhin zieht es neben den Tauchern auch jeden Tag unzählige Tagestouristen, die einfach nur zum baden oder schnorcheln hierher kommen.

Deshalb sind Pier und ein riesiger Picknick-Platz schon gut gefüllt, als wir ankommen. Man serviert ein einfaches, leichtes, aber – wie fast ausnahmslos immer hier – leckeres, schmackhaftes Thai-Essen und füllen so ein wenig unsere Batterien wieder auf, bevor es zum zweiten Tauchgang wieder zum Felsen geht. Diesmal wollen wir auf der anderen Seite des „Croissants“ herumschwimmen. Thomas erklärt Pascal und mir noch stolz, dass er in der Mittagspause für uns zwei 15 Liter-Presslufttanks hat ergattern können statt der üblichen 12 Liter, so haben wir ein wenig mehr Zeit unter Wasser. Wir machen uns also wieder an den Abstieg an der Ankerleine, machen Fotos und Videos von den unzähligen Korallen, Schwämmen, Fischen und sonstigen Meerestieren, darunter giftige und perfekt getarnte Steinfische, Barracuda-Schulen, riesige Zackenbarsche, niedliche Kofferfische, Muränen, … Es ist einfach wie im Aquarium, nur reichhaltiger, vielfältiger, bunter und natürlich auch immersiver. Mittendrin, statt nur dabei!

Auch der zweite Tauchgang ist endlich, und bei 70 Bar drehen wir langsam um, der Tauchcomputer zeigt schon 45 Minuten. Gerade, als ich versuche, noch die eine oder andere Totale zu filmen, höre ich ein aufgeregtes metallisches Geräusch. Thomas klopft mit seinem Messerschaft gegen seine Flasche, ein Signal, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Er signalisiert in etwa das, was in diesem klassischen Comic skizziert ist:

Hinter mir ist schemenhaft etwas Riesiges zu sehen! Ein Walhai! Er dreht ab und verschwindet im Dunkel. Wir lassen unsere geplante Route Route sein und hasten hinterher, andere Teams schließen sich uns an. Ich frage mich noch, ob noch irgendwer sieht, wo das Tier ist, oder ob wir einfach nur blind in den Ozean schwimmen, als die Taucher vor mir zum Halten kommen. Der Hai hat eine weitere Drehung gemacht und kommt erneut auf uns zu. Majestätisch, gigantisch, mit einer Armada von Putzerfischen an Maul und Bauch, dahinter zig Fische, die auf Fressabfälle lauern.

Ich bin ja nun kein großer Kino-Fan, aber mir fällt zum Vergleich immer wieder der Sternenzerstörer aus Star Wars ein, so langsam und riesig. Und er gibt uns alle Zeit, die wir brauchen. Bedächtig zieht er seine Bahnen, schwimmt über uns, zeigt sich im Gegenlicht, alle Taucher verharren in Ehrfurcht. Erst nach etwa vier Minuten verabschiedet er sich, und wir lösen uns aus unserer Erstarrung. Die Taucher klatschen unter Wasser ab, schütteln vor Freude die geballte Faust. Was für eine Begegnung!

Unsere Luft ist zu Ende, und jetzt kann auch nichts mehr kommen. Wir tauchen auf, legen unser Material ins Boot und reden wild und aufgeregt durcheinander. Das war der erste Hai der Saison, auch für die Tauchveranstalter! Jeder prüft schnell seine Kamera in der Hoffnung, schöne Bilder mitgenommen zu haben. Mit 4*250 PS geht’s wieder zurück zum Sea Sky Pier. Dort findet ein kurzes Debriefing und das Ausfüllen der Logbücher statt und wir können noch einen kleinen Snack zu uns nehmen, bevor uns der Minibus dann wieder zu unserem Hotel zurück bringt.

Mein Fazit: Keine einzige der oben genannten Befürchtungen (zu voll, kaputt gemacht) ist eingetreten, es war ein magischer Tag!

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