Neben dem Semenggoh Wildlife Center mit seinen Orang-Utans konnte Kuching bereits in der Planungsphase mit einem weiteren Pluspunkt aufwarten. Etwa eine halbe Stunde nördlich der Stadt liegt ein vergleichsweise kleiner, aber mit dem Gründungsjahr 1957 schon recht alter Nationalpark. Flora und Fauna dieses knapp 30 km² großen Areals konnten sich also über Jahrzehnte weitgehend unbeeinflusst entwickeln. Da jedoch stets zumindest Tagesgäste den Park besuchten, sind die Tiere an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt. Um den Nationalpark zu erreichen, verlässt man Kuching mit dem Auto in Richtung eines Fähranlegers, wo man für etwa 20 Minuten auf ein Boot umsteigt – ein Wechsel, der das Gefühl von Abgeschiedenheit und Wildnis zusätzlich verstärkt. Laut verschiedener Berichte im Internet sind weder Mobilfunkempfang noch Stromversorgung dauerhaft garantiert – Grund genug, sich gedanklich und materiell auf die bevorstehende Exkursion vorzubereiten.
Wir packen Kleidung, Kameras sowie reichlich Wasser und Proviant in unsere Rucksäcke, lassen die Koffer im Hotel in Kuching zurück und fahren zum Anleger. Dort erleben wir zum ersten Mal seit Langem, dass eine Dienstleistung in Malaysia etwas teurer ausfällt als erwartet – der Fährmann verlangt mittlerweile rund 40 € für Hin- und Rückfahrt. Da zeigt sich, wohin Monopole führen können…
Gespannt und voller Vorfreude gleiten wir über das ablaufende Wasser, schießen über lange Gezeitenwellen und passieren dichte, unberührte Mangrovenwälder. Schließlich taucht vor uns das Dach eines Anlegers auf – wir sind angekommen! Wir verlassen unser Wassertaxi und werden sogleich von einem wenig vertrauenserweckenden Schild begrüßt: Vorsicht, Krokodile! Und tatsächlich – hier lebt das Leisten- oder Salzwasserkrokodil, das mit einer Länge von bis zu fünf Metern und einem Gewicht von einer Tonne als größte und gefährlichste Krokodilart der Welt gilt. Bei unserer Anmeldung an der Rezeption des Parks werden wir, neben anderen Verhaltenshinweisen, auch darauf hingewiesen, dass das Baden strikt verboten ist.
Da unser Bungalow noch nicht bezugsfertig ist, vertreiben wir uns die Zeit mit ersten Fotos von den durch die Siedlung streunenden Bartschweinen.
Unsere Unterkunft ist sehr schlicht, doch immerhin verfügen wir über fließend Wasser und einen Kühlschrank – mehr Luxus gibt es nicht. Das war uns allerdings bewusst, schließlich befinden wir uns mitten im Dschungel! Als Entschädigung bieten sich uns direkt vor der Veranda eindrucksvolle Begegnungen mit all jenen Tieren, von denen wir zuvor nur gelesen hatten – und mit einigen mehr: Immer wieder ziehen Borneo-Schönechsen, Haubenlanguren, Langschwanzmakaken, Bartschweine, Flattermakis und sogar Schildkröten an uns vorbei. Der Wald ist außerdem reich an Insekten: Glühwürmchen, Stabschrecken und Tausendfüßler kreuzen unseren Weg.
Unangefochtener Star und zugleich Wahrzeichen des Nationalparks aber ist der Nasenaffe. Diese wohl seltsamste Art aus der Familie der Schlankaffen zeigt sich vor allem in den Morgen- und Abendstunden, wenn sie hoch oben in den Baumwipfeln oder etwas tiefer in den Palmenfrüchten schlemmen. Was dabei herunterfällt, wird von den Bartschweinen dankbar aufgefressen – im Dschungel geht nichts verloren.
Für unsere Verpflegung sorgt eine kleine Cafeteria – die einzige Möglichkeit, etwas zu essen. Je nach Gästeanzahl wird à la carte oder als Buffet gekocht. Am ersten Abend ist neben uns eine größere Reisegruppe zu Gast, sodass ein Buffet angeboten wird. Die freudigen Gesichter der Kinder, als sie mitten im Dschungel Pommes serviert bekommen, sprechen Bände. Auch für Antje und mich gibt es leckere Hausmannskost. Besonders die gebratenen Reisnudeln Char Kway Teow haben es uns angetan.
Noch am selben Abend brechen wir zu einer etwa zweistündigen Nachtwanderung auf, begleitet von drei Rangern und einer kleinen Gruppe weiterer Besucher. In den Baumwipfeln entdecken wir schlafende Affen, und im Schein unserer Taschenlampen zeigen sich auch einige nachtaktive Tiere – darunter einige kleinere, aber nicht weniger unheimliche Schlangen.
Nach der für uns aufregenden Tour – Ian verschläft sie übrigens komplett in der Kraxe – sitzen Antje und ich noch lange auf der Veranda unseres Bungalows. Noch immer schwitzen wir in der tropischen Hitze, während eine Fledermaus in eleganten Bahnen über unsere Köpfe kreist. Ob sie dafür sorgt, dass wir weniger Mückenstiche abbekommen als erwartet? Zum Einschlafen öffnet der Himmel erneut seine Schleusen – glücklicherweise erst spät in der Nacht. So liegen wir in unseren Betten im Dschungel und lauschen dem Tropengewitter, das direkt über uns hinwegzieht.
Das Frühstück am nächsten Morgen überzeugt zwar nicht ganz, reicht aber aus, um uns für den Tag zu stärken. Nach einer kleinen Erkundungsrunde im Camp entscheiden wir uns für eine Wanderung auf einem der ausgeschilderten Urwald-Trails. Mit einer Streckenlänge von nur 1,5 Kilometern (einfach) ist eine Gehzeit von drei Stunden angegeben – und mit Kindern kann man da erfahrungsgemäß noch etwas draufschlagen.
Wir packen drei volle 1,5-Liter-Flaschen Wasser ein und machen uns auf den Weg. Zunächst führt ein schöner Holzbohlenweg zur Bootsanlegestelle, dann geht es gefühlt senkrecht einen Hang hinauf. Der Pfad ist direkt ins Unterholz geschlagen, Tritthilfen bieten nur Wurzeln. Nach einer schweißtreibenden Stunde haben wir rund 750 Meter Distanz bewältigt – unvorstellbar, wie es wäre, sich hier mit einer Machete durchzuschlagen.
Oben erreichen wir ein offenes Hochplateau, das von unzähligen fleischfressenden Kannenpflanzen überwuchert ist. Einige sind größer als eine Faust und enthalten gut 100 ml mit Verdauungsflüssigkeit gefülltes Wasser. Alles auf Borneo scheint größer, üppiger, intensiver zu sein – unsere Erwartungen an die Insel werden mehr als erfüllt!
Als sich auf dem Plateau unsere fast fünf Liter Wasser dem Ende zuneigen, beschließen wir die Umkehr – obwohl wir den „lächerlich kurzen“ Weg nicht vollständig gegangen sind. Erlebnisse haben wir dennoch mehr als genug gesammelt.
Den restlichen Tag verbringen wir in der Nähe des Camps und am Strand – zum Glück ohne eine Krokodilsichtung. Auch wenn sie selten sind, wäre ein Zusammentreffen lebensgefährlich.
Nach einer weiteren Nacht voller Urwaldgeräusche werden wir am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr von unserem Bootstaxi abgeholt. Ein unvergesslicher Ausflug geht zu Ende. Und beim Einsteigen ins Auto am Fähranleger wird uns schlagartig klar, was uns am meisten gefehlt hat: eine Klimaanlage!
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